Ein Leutesdorfer erinnert sich

 

Ein widerborstiges Borstenvieh

 


Sicher nicht jeder weiß, was eine Nuckes ist, zumal diese Spezies von Haustier heute nur noch auf dem Bauernhof oder in Großmästereien zu finden ist. Früher war das anders. Bei vielen Familien auf dem Lande gab es noch den Schweinestall und darin einige Schweine. Um die Weihnachtszeit war dann Hausschlachtung, an der die Verwandtschaft und Nachbarschaft regen Anteil nahmen. Jeder bekam eine Kanne Wurstsuppe und eine  Blut- und Leberwurst als willkommene Schlemmerei. Am Schlachttag kam der Metzger am frühen Morgen mit einem großen Bottich, Leiter und der Wurstmaschine. Das Schwein, das schwer genug zum Schlachten war, wurde früher mit dem Holzhammer, später mit einem Schußapparat betäubt und dann abgeschlachtet. In dem Bottich wurde es mit kochendem Wasser übergossen und geschrubbt. Wenn die Borsten entfernt waren, wurde es kopfüber auf die große Leiter gehängt. Dort wurde es aufgeschnitten und ausgenommen. Das Blut war in einem Eimer aufgefangen worden und mußte ständig gerührt werden.

Es muß im Winter 1940/41 gewesen sein. Es war bereits Krieg. Lebensmittel und Fleischwaren waren schon rationiert; beim Kauf mußte die Lebensmittelkarte vorgelegt werden. Wer schlachtete galt als Selbstversorger und erhielt entsprechend weniger Lebensmittelmarken. Schweine, aber auch Kleinvieh wie Hühner, Gänse und Kaninchen, waren anzumelden. Wir hatten zu dieser Zeit zwei Schweine im Stall, die geschlachtet werden sollten. Es war aber nur ein Schwein angemeldet und so hätten wir auch nur ein Schwein haben dürfen. Schwarzschlachten war streng verboten und wurde hart bestraft.

Der Schlachttag kam. Bereits in aller Frühe wurde der Waschkessel angeheizt, der Metzger kam mit seinem Werkzeug und bald hing das erste Schwein auf der Leiter. Nun sollte das andere an die Reihe kommen. Schweine sind nicht dumm und unseres mußte gemerkt haben, was ihm bevorstand. In einem günstigen Moment entwischte es uns und lief quiekend durch die Kirchstraße. Der Metzger mit dem Messer in der Hand, mein Vater und die Mutter hinterher. Jeder wußte, bei Mohrs wird geschlachtet, aber das Schwein hängt doch schon auf der Leiter. Wie kann es dann noch im Dorf herumlaufen?      

Es war eine ziemliche Aufregung, denn neben Leuten, die schmunzelnd an eigene, ähnliche Fälle dachten, gab es auch Neider. Jedenfalls mußte auch das widerborstige Borstenvieh den Tod erleiden. Die Wurstsuppe war diesmal besonders gut, wurde doch die doppelte Menge an Würsten gekocht. Es gab reichlich Suppe und auch von den Würsten wurde mehr als sonst üblich verteilt. Wer kann einen schon anzeigen, wenn er selbst von den nicht ganz legalen hausgemachten Spezialitäten gekostet hat? Beide Schweine zusammen hat auch niemand gesehen, außer dem Metzger natürlich. Aber der schwieg und ließ schnell das erste im Haus verschwinden. Ob die Sache ein Nachspiel hatte, weiß ich nicht mehr und hat mich damals auch nicht besonders interessiert.

Es dauerte etwas länger, bis der Metzger mit seiner Arbeit fertig war. Die doppelte Menge an Fleisch mußte ja diesmal portioniert, eingepökelt oder in Dosen gepackt werden. Wir Kinder durften das Blut rühren, bis es gewürzt und mit gewürfeltem Fleisch und Speck gemischt in die Wurstmaschine kam. Noch heute habe ich den Geruch von Blut und frisch gebratenen Nierchen in der Nase, wenn ich an den Schlachttag denke.      

H.Mohr 
Baden-Baden 1998

Update: Aug.2016