Ein Leutesdorfer erinnert sich

Wir fällen die Grenzeiche


Es war Herbst im Nachkriegsjahr 1946 und es wurde langsam kalt. Brennmaterial zum Kochen und Heizen fehlte ständig. Wir Buben waren gefordert, bei der Beschaffung zu helfen. Ein Handwagen in unserer Scheune hatte den Krieg überstanden, und so mußten wir regelmäßig ins Bachmühltal, Knüppelholz holen. Das war leichter gesagt als getan, denn die Wälder waren längst kahl, die Plätze, wo wir uns bedienen durften, an unwegsamen Stellen. Über alles wachte der Förster auf dem Hubertushof, der dafür sorgte, daß der Schaden, den der Krieg verursacht hatte, nicht noch größer wurde. So war das Holz, das uns zugeteilt war, ziemlich dünn und das Gestrüpp drum herum sehr dick.

Als wir wieder einmal an einer solchen zugewiesenen Stelle ankamen und nicht wußten, wo wir anfangen sollten, sahen wir eine dicke Eiche am Rande unseres Platzes. Sie hatte dicke Äste und reichlich Holz für mehrere Ladungen. Auch konnten wir mit unserem Handwagen bis in die Nähe kommen, so daß das Beladen nicht allzu große Mühe machte. Diese mußte es sein. Wir wußten ja nicht, daß es eine Grenzeiche war und unter besonderem Schutz stand.

Das Umsägen des dicken Stammes war sehr anstrengend, denn unsere Säge war stumpf und für ein solch hartes Holz schlecht geeignet. Aber als der Baum dann fiel, ging es flott voran. Reichlich armdicke Seitenäste und Knüppelholz, mehr als wir diesmal verarbeiten konnten. Der Wagen war schnell beladen, denn wir wollten wieder nach Hause. Aber plötzlich stand der Förster vor uns. Er hatte das Fallen dieses besonderen Baumes vom gegenüber liegenden Hang aus gesehen und wollte wissen, wer die Frevler waren. Als er dann vor uns stand, meinen beiden Brüdern und mir, Buben von zwölf bis vierzehn Jahren, die unwissend und aus Not gehandelt hatten, kamen ihm die Tränen. Er kannte uns und wußte, daß eine sechsköpfige Familie zu Hause mit Brennholz versorgt werden mußte. Der Baum war nicht mehr zu retten. Wir erhielten sogar die Erlaubnis, alle Äste und die Krone nach und nach zu holen. Nur den dicken Stamm mußten wir übriglassen. Nach dieser Anweisung richteten  wir uns nur allzu gerne.

Der Förster hat uns einige Male besucht und oft wurde über unsere Untat gesprochen. Es hat lange gedauert, bis diese traurige Angelegenheit verdaut war und natürlich hat es uns auch leid getan. Inzwischen sind fast fünfzig Jahre vergangen. Ich hoffe, daß neue Grenzeichen herangewachsen sind, die ungestört von Frevlern und schädlichen Umwelteinflüssen noch sehr alt werden können.

H.Mohr