Ein Leutesdorfer erinnert sich
Die Währungsreform 1948
Schon lange wurde gemunkelt, daß es bald neues Geld geben würde. Die Reichsmark war immer wertloser geworden. Eingekauft wurde auf Lebensmittelkarten und Bezugsscheine. Dieses Verteilungssystem
bestand seit 1939, dem Beginn des zweiten Weltkrieges, wurde von den Alliierten bei Kriegsende übernommen und sollte erst im April 1950 mit Ablauf der letzten Zuckerkarte enden. Zu kaufen
gab es trotz Karten nicht viel, und für jedes Brot oder etwas Fleisch mußte man lange anstehen. Der Schwarzmarkt blühte. Ein Pfund Kaffee konnte man bei dubiosen Händlern für RM 500,- kaufen und
auch Mehl und andere Dinge des täglichen Lebens gab es zu überhöhten Preisen. Nichtraucher tauschten ihre Zigaretten in Dinge um, die sie dringender brauchten. Fast alles, was man irgendwie
entbehren konnte, war schon lange versetzt, denn seit Kriegsende herrschte eine immense Not. Es gab auch kaum Treibstoff für die wenigen Autos, die den Krieg überstanden hatten. So war es auch
ein Transportproblem, das die Versorgung der Bevölkerung behinderte. Holzvergaser sah man öfter, und die Fahrer hatten erhebliche Mühe, ihre Autos anzuheizen und immer wieder neu mit Holz zu
beschicken.
Wie sah nun unser Speisezettel in den ersten Nachkriegsjahren aus? Brot gab es 200 gr pro Tag, das waren zwei oder drei Scheiben, die trocken gegessen wurden. Auch kann man die Qualität nicht mit
der heutigen vergleichen. Das Brot war matschig, denn um ein möglichst hohes Gewicht zu erhalten, wurde mit Wasser nicht gespart. Auch war das Mehl meistens mit Maismehl gestreckt. An Kartoffeln
gab es 10-12 kg pro Monat, die bereits wenige Tage nach Ausgabe verzehrt waren. Die Rationen an Fleisch und Fett waren so gering, daß sie nicht einmal für das Sonntagsessen reichten. Wenn es
einmal Öl gab, war es Rapsöl, das zuerst ausgelassen werden mußte, um überhaupt genießbar zu sein. Dann roch die Wohnung tagelang penetrant nach Rauch. Manchmal gab es Linsen, die aber so voller
Maden waren, daß wir von Sonderzuteilung an Fleisch sprachen. Oft bestand das Mittagessen aus Graupensuppe oder aus einer Grütze aus selbstgesammelten Ähren, vermischt mit etwas Gemüse. Es war
gut, daß es den Wacker gab mit seinen vielen Gemüsefeldern. Nicht ganz legal kam so auch schoneinmal ein Wirsing in den Kochtopf.
Es war Sonntag, der 20. Juni 1948, der Stichtag, die Stunde Null. Es hatte sich schnell herumgesprochen: "Morgen gibt es neues Geld". Wir mußten zur Schule, aber die Mutter stellte sich bei der
Ausgabestelle an. Vierzig Mark für jeden erhielt sie im Umtausch für die nun ungültige Reichsmark. Das neue Papiergeld wurde zunächst einmal kritisch betrachtet, denn niemand konnte damals
wissen, daß wir eine der härtesten Währungen für die nächsten Jahrzehnte in Händen hatten. Geld, das noch auf dem Sparbuch war, wurde 1:10 abgewertet. Damit hatten viele ihre Notgroschen
verloren. Kleingeld konnte noch eine kurze Zeit benutzt werden. Es wurde nach und nach eingezogen und durch neues ersetzt. "Bank Deutscher Länder" stand jetzt dort, wo vorher "Deutsches Reich"
eingestanzt war.
Es war verblüffend: Auf einmal gab es wieder alles zu kaufen, fast alles. Beim Bäcker, der vor allem in den letzten Tagen kein Brot hatte, waren die Regale gefüllt. Es gab sogar süße Teilchen und
Amerikaner, ein Backpulvergebäck halb mit Schokolade überzogen. Es gab Wurst beim Metzger und Obst, sogar Bananen und Apfelsinen, im Gemüseladen. Die ersten Zigaretten, die es nun frei zu kaufen
gab, hießen Bosco, waren schwarz und stanken fürchterlich. All die Dinge, die eine Hausfrau für die Küche braucht und die bisher kaum zu kaufen waren, wurden wieder angeboten. Es gab Ersatzteile
für unser Fahrrad, Schreibpapier und Schreibblocks für die Schule und Klopapier. Bisher wurde die Zeitung zerschnitten und auf dem Abee an einen Nagel gehängt. In den Cafés der Stadt konnte man
wieder echten Café und Schwarztee trinken und es gab auch bald eine Kuchenauswahl.
Wie dieses "Wirtschaftswunder" zustande kam, merkte ich ein Jahr später. Ich arbeitete damals als Lehrling in einer bekannten Spirituosen- und Likörfabrik. Eines Tages wurde ich zum
Flaschensortieren in ein großes Lager mit leeren Flaschen geschickt. Es stellte sich dann heraus, daß hinter vielen bis an die Decke reichenden Reihen leerer Wein- und Spirituosenflaschen große
Steinfässer standen, gefüllt mit echtem Rum und Cognac. Es war gute Vorkriegsware, dazu bestimmt, den Fortbestand des Unternehmens zu sichern, wenn die Verhältnisse wieder normal wären. Es gab
sicher auch hier in der ersten Nachkriegszeit marodierende Besatzer, die nach Spirituosen gesucht haben. Hinter den Mengen leerer Flaschen waren die Schätze aber so sicher, daß sie nicht gefunden
wurden.
Wer meint, mit der Währungsreform wären die Sorgen um das tägliche Überleben verschwunden gewesen, der täuscht sich sehr. Es fehlte nun an Geld, um auch wirklich kaufen zu können, was angeboten
wurde. Das Gehalt des Vaters war sehr gering. Wir Kinder gingen noch zur Schule und hatten Schul- und Fahrgeld zu zahlen. Dabei hatten wir noch Glück, denn wir gehörten nicht zu den Tausenden,
die mit Arbeitslosenhilfe auskommen mußten. Alles in allem erwies sich die Währungsreform als der Anfang eines wachsenden Wohlstandes und der Beginn einer besseren Zukunft.
H.Mohr
Baden-Baden 1998
Update: Aug.2016